Dort drüben, ganz hinten im Bücherregal, in einer besonders dunklen Ecke haust zwischen Staub und Spinnweben ein kleiner, unansehnlicher, uralter Gott. Seit langer, langer Zeit haben ihn alle vergessen, aber schon früher, vor einer kleinen Ewigkeit, als manche ihn noch kannten, war es mit seiner Verehrung nicht weit her gewesen. Heutzutage weiß niemand mehr auch nur seinen Namen, und er selbst wohl auch nicht mehr.
Er ist offenbar ein Überbleibsel aus der Zeit der vielen Götter, an die sich heute niemand mehr erinnert. Längst ist er völllig nutzlos geworden, wenn er denn überhaupt je nützlich war, und er hat nichts tun. Meistens sitzt er einfach ruhig da, auf einem Bücherstapel, und wartet. Auf nichts. Denn es gibt nichts, worauf er warten könnte. Er wartet trotzdem. Was sollte er auch sonst tun? Es gibt nichts, was er tun könnte.
Vielleicht wäre er gern sterblich und irgendwann endlich gestorben. Aber das ist nicht möglich. Götter sterben nicht. Sie verschwinden allenfalls. Doch dafür hat er wohl den richtigen Zeitpunkt verpasst. Also ist er geblieben. Er lebt und sitzt einfach da. Sinnloserweise.
Manchmal baumelt er ein bisschen mit den Beinen. Bloß so. Dann lässt er das wieder. Bloß so.
Er empfindet vermutlich weder Freude noch Leid und auch keinerlei Langeweile. Er sitzt bloß so da und nimmt keinen Anteil an der Welt und den Menschen darin. Früher, vor einer kleinen Ewigkeit, war das bestimmt anders, da interessierte er sich noch für die Menschen und ihre Schicksale. Aber da sich dann niemand je für ihn interessierte, verlor auch er schließlich jegliches Interesse.
Er schläft nie. Es gäbe auch nichts, wovon er träumen könnte. Eigentlich denkt er auch an nichts, zumindest an nichts Besonderes. Er sitzt nur da.
Mir tut der kleine, hässlich Gott ein bisschen leid. Gern holte ich ihn aus seiner dunklen, staubigen Ecke hervor und ließe ihn zu Ehren kommen. Aber eigentlich weiß ich nichts mit ihm anzufangen. Und würde er das überhaupt wollen? Außerdem habe ich schon einen Gott, einen großen, herrlichen, allmächtigen. Was soll ich da mit dem mickrigen? Also lasse ich ihn, wo er ist. Weil er mir leid tut und ich doch nichts machen will, versuche ich, so wenig wie möglich an ihn zu denken. Das ist sicher besser so. Wahrscheinlich werde auch ich ihn irgendwann vergessen haben.