Montag, 15. Dezember 2025

Blumfeld (21)

Blumfeld, ein älterer Junggeselle, saß mit ein paar Bekannten im Kaffeehaus zusammen. Man diskutierte dies und das. Als Blumfeld zur Toilette ging und dort sein Wasser abschlug, stellte er sich vor, wie seltsam es wäre, wenn er zum Tisch zurückkäme, und seine Bekannten hätten schon gezahlt und wären gegangen. Er musste über sich selbst und seine Einfälle schmunzeln. Während er sich die Hände wusch und sich dann abtrocknete, dachte er schon wieder an etwas ganz anderes. Als er schließlich an den Tisch zurückkehrte, waren alle noch da, und Blumfeld fand das seltsam, hätte aber nicht sagen können, warum.

Sonntag, 14. Dezember 2025

Die Fabrik

Dort stellen sie Gott her, in allen Formen, Farben und Größen. Wie es heißt, wird Gott immer noch stark nachgefragt. Man liefert ihn in alle Welt. Der Markt scheint unerschöpflich groß. Fast jeder will einen Gott und, wer schon einen hat, will vielleicht noch zweiten oder dritten und so weiter.
Noch ist nicht geklärt, wozu Gott überhaupt gut ist. Fest steht aber, dass man ihn zu allem gebrauchen kann. So macht jeder mit ihm, was er will. Viele verwenden ihn als Ausrede. Manche hauen ihn anderen um die Ohren. Einige nützen ihn zur Beruhigung, einige zur Anregung, einige nur selten und besitzen ihn bloß für alle Fälle.
Es gibt welche, die sagen, Gott sei der Teufel, andere, der Teufel sei ihr Gott. Und wieder andere leugnen, dass Gott überhaupt existiert. Deren Gott ist dann also das Nichts.
Kritiker behaupten, in der Fabrik werden lediglich Gottesersatz hergestellt. Aber wer will denn so etwas glauben? 

Mittwoch, 3. Dezember 2025

Blumfeld (20)

Blumfeld, ein älterer Junggeselle, war seit langem mit dem Komponisten Pregelhofer bekannt, nicht aber mit dessen Freund, dem Schriftsteller Riegelhofer. Oder war es umgekehrt? Kannte er Riegelhofer gut, aber nicht Pregelhofer? Oder hat ihm der eine den anderen irgendwann vorgestellt, so dass er seither ein Bekannter von beiden war? Jedenfalls kannte er den Philosophen Hochreither gar nicht. Dessen Tractatus mysticus freilich hatte er gelesen. Er enthielt nach Blumfelds Meinung nur zwei verständliche Sätze, den ersten und den letzten: „Die Welt ist eine Falle“ und „Aber darüber darf ich nichts sagen“. Doch dass Blumfeld das zu verstehen meinte, bedeutete nicht, dass er dem zustimmte. Ganz im Gegenteil. 

Donnerstag, 20. November 2025

Blumfeld (19)

Blumfeld, ein älterer Junggeselle, bemerkte erst mitten in der Trauerfeier durch die rühmenden Reden, die gehalten wurden, dass er hier falsch war. Diesen Toten dort im Sarg hatte er überhaupt nicht gekannt! Wie hatte das geschehen können? Wahrscheinlich hatte er den Friedhof verwechselt. Wie peinlich. Er hatte also den falschen Angehörigen vorsichtig die Hände geschüttelt und flüsternd kondoliert. Das heißt, die Angehörigen waren die richtigen, er war hier falsch. Aber gehen konnte er jetzt auch nicht. Wie hätte das denn ausgesehen! Er musste also warten, bis alle Reden vorüber waren, wahrscheinlich wurde dann noch einmal Musik gespielt, und erst wenn man aufbrach, um die Urne draußen im Gräberfeld beizusetzen, konnte er sich in entgegengesetzter Richtung davonmachen, möglichst unauffällig und doch sicherheitshalber gesenkten Hauptes und wie von Trauer überwältigt.

Ein Dichter

Aalfried zur Reuse hielt sich bei den Jagden immer abseits, derlei schien ihm zu roh und abgeschmackt zugleich. Doch auch er streifte durch Wald und Wiese. Fernab der Menschen und ihres Lärmes und ihrer Gewalt notiert er dann zuweilen Verse: In Spinnweben glitzert’s. / Der Nebel zieht weiter. / Was weiß das Wild, / was du nicht weißt? Mit derlei war dann, fand Aalfried zur Reuse, sein Tagwerk getan, und er kehrte zu den Menschen zurück, die aßen und tranken und lachten und nicht wussten, was das Wild wohl wusste. Und er, mitten unter ihnen, lächelte und lachte auch.

Dienstag, 11. November 2025

Blumfeld (18)

Blumfeld, ein älterer Junggeselle, saß im Park am Teich auf einer Bank und betrachtete das Phänomen von allen Seiten und im Hinblick auf alle Abschattungen „Was das wohl sein mag?“, überlegte Blumfeld. „Es sieht aus wie eine Ente. Es watschelt wie eine Ente. Es quakt wie eine Ente.“ Blumfeld schloss messerscharf: „Also ist es sehr wahrscheinlich ein Elefant!“

Montag, 3. November 2025

Miniaturen (4)

Er war mittelmäßig in jeder Hinsicht und fand das ganz normal.
 
Ganz normal war er freilich nicht, denn hatte wenig, fast nichts von dem erreicht, was man vorweisen musste, um wirklich als normal gelten zu können.

Er hatte eine Abneigung gegen alles Großspurige, Übertriebene, Wichtigtuerische. Derlei hätte ihn, wenn er sich dem nicht mit überlegener Abwehrgebärde entzogen hätte, an sein eigenes Ungenügen und Versagen erinnert.

Seine Devise hätte sein können: „Nichts im Übermaß“, wenn er zu Übermäßigem überhaupt noch fähig gewesen wäre.

Gewiss, er hatte einige Unarten und mickrige Laster, aber die fielen kaum auf. Ihm am wenigsten, und wenn doch, dann zuckte er mit den Schultern und entschuldigte sich selbst damit, er sei eben so.

Zuweilen war er knapp an einer Psychose vorbeigeschrammt, hatte sich auch einmal selbst in die Irrenanstalt eingewiesen, nahm ständig einschlägige Pillen und unterzog sich Therapien, von deren Nutzlosigkeit der im Voraus überzeugt war. Und die ihm auch tatsächlich nichts brachten.

Sein Glück, wenn man es denn so nennen will, war, dass er ebenso wenig Gründe für einen Selbstmord anzugeben wusste wie fürs Weiterleben. Er wählte das, was weniger prätentiös war.
 
Er war durchaus gebildet. Er mochte Musik und las. Er verwarf aber alles, was ihn herausforderte. Er wollte es einfach, gemütlich, ablenkend haben.

Als eine besondere Zumutung empfand er es, wenn er von irgendwem zu irgendetwas „Kulturellem“ eingeladen oder aufgefordert wurde, wozu er keine Lust hatte, wegen der möglichen Herausforderung, und wozu er auch auf keinen Fall Meinung haben müssen wollte. Besonders zuwider war es ihm, wenn Freunde oder Bekannte selbst etwas produziert hatten. Warum machten die Leute dies und das, sangen, tanzten, komponierten Streichquartette und Opern, schrieben Theaterstücke, Gedichtbände, Romane, malten Bilder, bearbeiteten Marmor, gossen Bronze, formten aus Ton? Warum ließen sie nicht alles, wie es war?