Seine Selbstbildnisse sahen ihm gar nicht ähnlich. Hätte er sie nicht als solche bezeichnet, hätte man gar nicht gewusst, dass sie welche sein sollten. Mich störte das nicht, aber andere machten viel Aufhebens davon. Sie forderten Ähnlichkeit ein, als gäbe es irgendeine Verpflichtung dazu. Mir hingegen gefiel gerade, dass er sich um die Erwartungen anderer nicht scherte, wenn er sich selbst malte. Das schien mir erfreulich selbstbewusst und frei. Zudem hielt ich seit langem dafür, dass die Gelungenheit eines Gemäldes nicht daran hängt, was es darstellt. Sofern es überhaupt etwas darstellt und falls Darstellung in diesem Zusammenhang überhaupt etwas bedeutet. Seine Selbstbildnisse jedenfalls konnte man mit Fug und Recht ungegenständlich nennen, abstrakt, wenn man so will, wobei freilich alles Gemalte abstrakt, weil mit dem Ungemalten, auf das es sich möglicherweise bezieht, nicht identisch ist. Wie auch immer. Was die zur Rede stehenden Selbstbildnisse betrifft, so ereigneten sich da Formen und Farben, die nur auf ihre eigene Stofflichkeit verwiesen und auf die Leibhaftigkeit der Erfahrung des Betrachters mit eben diesen Ereignissen, auf die Begenung also von Auge und Leinwand im Raum. Als bloße Wiedergabe von etwas, und sei es das Aussehen ihres Ereugers, waren sie bedenklich, aber als Entwürfe einer anderen Sichtbarkeit fand ich sie großartig. Und zugegebermaßen doch wohl auch gerade ihrer Bedenklichket wegen.
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Seine Selbstbildnisse sahen ihm gar nicht ähnlich. Zwar behaupteten immer alle, die Ähnlichkeit sei unverkennbar, aber ich sah das anders. Zugegeben, ich war ihm, als er noch gelebt hatte, nie persönlich begegnet, sondern kannte seun Aussehen nur von Photographien her (wie übrigens die meisten, die eine Ähnlichkeit behaupteten, ebenfalls). Aber so oder so, auf irgendetwas musste eine Behauptung der Ähnlichkeit oder Unähnlichket ja gestützt werden. Mir schien nun, dass entweder die Photographien logen, was mir durchaus wahrscheinlich vorgekommen wäre, oder aber eben, dass die Malerei doch erheblich von der gewöhnlichen Sichtbarkeit abwich und eine andere Sichtbarkeit erzeugte. Ich sah da jedenfalls keine Übereinstimmung. Oder ich hielt irgendwelche Übereinstimmungen für gänzlich unbedeutend, während mir die Abweichungen und Verschiedenheiten ganz entscheidend zu sein schienen. Meiner Überzeugung nach sah er also nicht so aus, wie ihn die Photographien zeigten, aber so, wie er sich gemalt hatte, und das war etwas ganz anderes. Oder umgekehrt, die Maerei hatte Unrecht und die Photographie Recht. Oder aber beides, Photographiertes und Gemaltes, hatte nur wenig mit seinem wirklichen Aussehen zu tun. Das hätte mir am besten gefallen.
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