Montag, 4. August 2025

Blumfeld (6)

Blumfeld, ein älterer Junggeselle, hatte sich im Laufe der Jahre vom kleinen Konzeptionisten zum stellvertretenden Leiter einer Unterabteilung hinaufgearbeitet. Während einer langen, etwas geheimnisvollen Abwesenheit seines Chefs war ihm sogar die faktische Leitung der Unterabteilung zugefallen und er hatte sich dabei sehr bewährt. Blumfeld war bei seinen Vorgesetzten wegen seines Fleißes, seinen umfassenden Kenntnissen und seiner Fähigkeit, auch schwierige Angelegenheiten rasch und gründlich zu erledigen, sehr angesehen und bei seinen Kollegen wehen seiner bescheidenen und immer hilfsbereiten Art durchaus beliebt. Nun gut, Neider gab es ja immer. Und manche verübelten Blumfeld wohl seine nahezu unanfechtbare Stellung und das bisschen außeralltäglichen Glanzes, das vorübergehend auf ihn fiel. Es begab sich nämlich in der Zeit, in der er die Unterabteilung de facto leitete, dass Blumfeld mehrfach zum Vortrag an allerhöchster Stelle bestellt wurde. Seine Apostolische Majestät, der Kaiser und König, nahm überraschenderweise an der Tätigkeit der Unterabteilung, die, falls es noch nicht erwähnt wurde, mit der administrativen Beaufsichtigung sämtlicher kaiserlich-königlich privilegierten alchymistischen Experimente zuständig  war, lebhaft Anteil. Und die Goldene Stadt war nun einmal der Mittelpunkt der kakanischen Alchymie. Auch in bürokratischer Hinsicht. Die Ungarn hatten irgendwo in Siebenbürgen ihre eigenen Laboratorien, aber alle ärarisch finanzierten Alchymisten von Lemberg bis Triest, von Innsbruck bis Czernowitz unterstanden seit jeher der Verwaltung mit Sitz in der Moldaumetropole. Und seit diese zur neuen Reichshaupt- und Residenzstadt erklärt worden war und mit Kaiser Rudolf wieder ein Herrscher im Hradschin residierte, hatte das allerhöchste Interesse nicht nur am Stein der Weisen und der Goldmacherei, sondern an allen Aspekten der königlich genannten Kunst beachtlich zugenommen. Leider war offenkundig kein Minister und kein Sektionschef mit den Einzelheiten der Materie ausreichend vertraut, und darum konnte keiner dem Kaiser die gewünschten Auskünfte geben als eben Blumfeld. Der war am Anfang von der hohen Ehre ganz eingeschüchtert gewesen, aber je häufiger die Vorträge angefordert wurden, desto ruhiger und sicher wurde er, in der Sache sowieso, aber auch im protokollgerechten Umgang mit der allerhöchsten Person. So ein Kaiser ist auch nur ein Mensch, dachte Blumfeld schließlich, aber laut gesagt hätte er das selbstverständlich nie und nimmer. Die Apostolische Majestät schien jedenfalls rasch Gefallen gefunden zu haben an ihrem fachkundigen kleinen Beamten und ließ sich von dem stellvertretenden Unterabteilungsleiter wiederholt bei Besuchen in den Dachstuben und Kellern der Burg und sogar, wegen der Touristen freilich streng incognito, im Goldmachergässchen begleiten. Hinter Blumfelds Rücken nannten ihn daraufhin ein paar seiner Kollegen, die sich für witzig hielten, „Bratfisch“, nach dem ehemaligen Leibfiaker des damaligen Kronprinzen. Blumfeld wusste durch den geschwätzigen Bürodiener durchaus davon und nahm es mit amüsierter Befriedigung hin. Ein paar Mal verzehrte er sogar zum Gabelfrühstück demonstrativ gebratenen Hering. Aber weil dessen Geruch immer das Büro so anhaltend verpestete, ließ er diese selbstironische Geste bald wieder bleiben.

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