Freitag, 8. August 2025

Eine andere Tür

So, da wären wir also. Hier wohne ich. Gleich bin ich zu Hause. Gleich lege ich mich ins Bett. Endlich. Aber hoppla, da gibt es anscheinend ein Problem. Hinter welcher dieser Türen genau wohne ich? Es sind so viele. Welche davon ist meine? Und wieso weiß ich das nicht? Blödsinn, selbstverständlich weiß ich es, die sehen bloß gerade alle so völlig gleich aus. Das macht es unerwartet schwierig. Einen Moment, das muss doch zu machen sein, ich muss mich bloß konzentrieren, dann fällt es mir bestimmt wieder ein. Nein, doch nicht. Das Einfachste wäre es vermutlich, wenn ich ausprobierte, bei welcher Tür mein Schlüssel passt, wo er aufschließt, dort wohne ich. Das Problem ist nur, wie ich gerade feststellen muss, dass ich meinen Schlüssel nicht bei mir habe. Ich werde ihn doch nicht verloren haben? Ach was, selbstverständlich habe ich ihn nicht verloren, das wäre ja zu blöd. Wahrscheinlich habe ich ihn beim Weggehen einfach zu Hause vergessen. Sozusagen in der Wohnung zurückgelassen. Er befindet sich also hinter der Tür und ich davor. Schon irgendwie witzig. Aber gar nicht lustig. Im Gegenteil. Sehr unangenehm. Eine ausgesprochen missliche Lage. Was soll ich jetzt bloß machen? Ich kann ja nicht gut irgendwo klingeln und sagen: „Verzeihen Sie bitte die Störung, aber wohne ich hier? Nein? Sind Sie sicher? Nun gut, können Sie mir dann vielleicht sagen, wo ich Ihrer Meinung nach wohne? Ich denke nämlich, hier in diesem Haus, in diesem Stockwerk müsste es irgendwo sein. Ja, sicher weiß ich, dass es mitten in der Nacht ist. Habe ich Sie etwa geweckt? Das tut mir leid. Aber sehen Sie, für mich ist das alles hier auch sehr unangenehm, denn wie gesagt … Ja, stimmt, ich bin betrunken. Sehr sogar. Völlig richtig erkannt. Ist aber auch ziemlich offensichtlich, was? Und außerdem wäre es auch nicht besser, wenn ich Sie mitten in der Nacht aus dem Bett klingelte und dabei völlig nüchtern wäre, meinen Sie nicht? Oder wenn ich mitten am Tage sturzbetrunken wäre. So hat irgendwie also alles durchaus seine Richtigkeit. Wie auch immer. Um auf meine Frage zurückzukommen … Hallo? Na sowas, macht mir der Kerl einfach die Tür vor der Nase zu. Mitten im Gespräch. Und so einer will ein guter Nachbar sein. Pfff!“ Habe ich das jetzt wirklich erlebt oder mir nur vorgestellt? Egal. An der misslichen lage hat sich nichts geändert. Was tun? Man könnte denken, ich brauchte ja bloß die Namensschilder am den Türen zu lesen, dann wüsste ich bald, wo ich wohnte. Nur dass ich Augenblick davor eher zurückschrecke, besagte Schilder zu lesen. Denn ich muss mir leider eingestehen, dass ich jetzt und hier nicht mit ausreichender Sicherheit weiß, wie ich heiße. Schön blöd, das gebe ich zu. Wie kann man nur so besoffen sein! Jedenfalls wäre mir in meinem derzeitigen Zustand das Lesen all der Namen, sofern es mir denn überhaupt gelänge, keine große Hilfe, vermute ich mal. Denn vorhin las ich an irgendeiner Tür einen Namen, der kam mir dermaßen bekannt vor, dass ich mir schon ziemlich sicher war, es müsse wohl mein eigener sein. Allerdings hatte der dabeistehende Vorname das falsche Geschlecht. Glaube ich. Ich befürchte jedenfalls, es ginge mir mit anderen Namen genauso. Jeder davon könnte durchaus mein eigener sein. Hier zum Beispiel, an der Tür des unfreundlichen Nachbarn, bei dem ich geklingelt hatte, auch dieser Name kommt mir sehr bekannt vor. Vorname steht zudem keiner dabei. Heiße ich wirklich nicht so? Der Kerl kann ja auch gelogen haben, unfreundlich, wie er war. Vielleicht wohne ich also doch hier. Vielleicht war die Unfreundlichkeit auch nur gespielt. Eine Art von Streich, sozusagen. Könnte doch sein. Vielleicht heiße ich also sehr wohl wie er und gehöre zu seiner Familie, bin Sohn oder Tochter, Onkel oder Tante. Denn wie schon angedeutet, ich bin mir augenblicklich nicht ganz sicher, ob ich Männlein oder Weiblein bin. Na, egal. Damit befasse ich mich später. Zuerst der Name. Mir scheint jetzt doch wieder, dass ich ganz anders heiße. Das kommt mir sogar immer wahrscheinlicher vor, je mehr ich darüber nachdenke. Dann gehöre ich also vermutlich nicht zur Familie des Nachbarn und wohne auch nicht in dessen Wohnung. Nein, mit ziemlicher Sicherheit nicht. Zumal mir gerade auffällt, das hier kann gar nicht das Haus sein, in dem ich wohne, bei uns sehen die Fenster irgendwie anders aus. Ganz anders. Anscheinend bin ich hier völlig falsch. Irgendwie ins falsche Haus geraten. Sowas Blödes. Kein Wunder, dass die Suche nach der richtigen Tür nichts ergeben hat. Aber die Tür dort drüben kommt mir trotzdem bekannt vor. Ob ich nicht vielleicht doch dahinter wohne, falsches Haus hin oder her?

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