Mittwoch, 22. Oktober 2025

Blumfeld (16)

Blumfeld, ein älterer Junggeselle, schaute lieber noch einmal nach. Auch dort, wo er längst schon nachgeschaut hatte. Er hätte ja etwas übersehen haben können. Aber er fand nichts. Das ärgerte ihn. Er war sich sicher, dass er den Sinn des Lebens hier irgendwo gehabt hatte. Selbstverständlich hatte er ihn gehabt, was denn sonst, aber gerade jetzt, da er ihn aus irgendeinem Gund gern zur Hand gehabt hätte, war er nirgendwo zu finden. Blumfeld hatte schon alles durchsucht. Mehrfach. Zuerst aufs Geratewohl, dann systematisch. Nichts. Er konnte ihn aber doch nicht verloren haben. Und weggeworfen hatte er ihn ganz bestimmt nicht. Warum hätte er das tun sollen? Ob seine Zugehfrau … ? Aber der war streng verboten, etwas anderes als offensichtlichen Abfall zu entsorgen, auf gar keinen Fall hätte sie es also gewagt … Blumfeld überlegte, ob er ihn vielleicht irgendwann an irgendwen verliehen hatte? Aber auch das war unwahrscheinlich. Seit Jahren, nach sehr schlechten Erfahrungen mit Büchern, die er nie zurückbekommen hatte, verlieh Blumfeld überhaupt nichts mehr, was ihm wichtig war, allenfalls ein bisschen Geld oder eine Tasse Mehl an irgendwelche Nachbarn. Blumfeld war außer sich. Dass er den Sinn des Lebens nicht und nicht fand, ärgerte ihn maßlos. Leider konnte er sich überhaupt nicht erinnern, wo er ihn zuletzt gesehen hatte. Aber irgendwo musste er doch sein! Es war zum Verrücktwerden. Blumfeld setzte sich immer wieder hin, wartete, überlegte, sprang dann auf, suchte an der einen oder anderen Stelle, fand nichts, zumindest nicht das Gesuchte, wenn auch manch anderes, das er noch gar nicht vermisst hatte. Dann setzte er sich erschöpft und wütend wieder hin. Es war sinnlos. Er fand diesen gottverdammten Sinn einfach nicht. Darüber platzte er fast vor Ärger. Über sich selbst. Über die Welt. Über die Unordnung darin. Über den Mangel an Sinn. Warum war alles so, wie es war, und warum so fürchterlich? Das ging lange Zeit so weiter. Schließlich drängte sich Blumfeld  wie er fand, schon am Rande des Wahnsinns  doch der Gedanke auf, dass er den Sinn des Lebens niemals besessen hatte. Sondern sich immer nur eingeredet hatte, ihn zu besitzen. Dieser Gedanke, der ungeheuerlich, aber angesichts des Versagens aller Suchbemühungen auf geradezu heimtückische Weise fast unabweisbar war, machte Blumfeld erst recht rasend. Er griff nach Hut, Mantel und Spazierstock, stürmte aus der Wohnung, das Treppenhaus hinunter und hinaus auf die Gasse. Er musste jetzt dringend ins Kaffeehaus und dort mit irgendwem über den Sinn des Lebens diskutieren. Wehe, wenn er keinen fand!

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