Dienstag, 26. August 2025

Blumfeld (13)

Blumfeld, ein älterer Junggeselle, war unzufrieden mit seiner Verwandtschaft. Seine Eltern waren ja zum Glück schon tot, die Großeltern seit langem, und Geschwister hatte er keine, aber da gab es jede Menge Onkel und Tanten, Vettern und Basen, Neffen und Nichten, Großneffen und Großnichten. Eine vielköpfige Mischpoche. Und es hörte nicht auf, Jahr für Jahr wurden neue Kinder geboren, eheliche und uneheliche, immer weiter und weiter, in jeder Generation wurden es mehr. Andere Leute können sagen, sie hätten ihre Familie verloren oder doch Teile davon, dachte Blumfeld. Durch Eisenbahnunglücke, Flugzeugabstürze, Kriege, Erdbeben, Waldbrände, Endlösung, Seuchen, Massenpaniken, Hauseinstürze, Mord und Totschlag, Vulkanausbrüche, Flutwellen, was weiß ich. Aber bei mir gibt nichts dergleichen und nichts derartiges steht in Aussicht. Gewiss, es wird in der Verwandtschaft auch gestorben, aber noch viel öfter werden Kinder in die Welt gesetzt. Unaufhörlich. Es ist schrecklich, befand Blumfeld. Anscheinend gab es unter seinen vielen Verwandten keine Hagestolze oder alte Jungfern, keine Mönche und Nonnen, keine Sodomiten und Tribaden, niemanden, der keine Kinder machen konnte oder wollte. Da wurde vielmehr gezeugt und empfangen, ausgetragen und geboren auf Teufel komm raus, eine fanatische Fortpflanzerei, eine nicht enden wollende Orgie der gesunden, normalen, produktiven Sexualität. Wie es schien, war Blumfeld der einzige der Sippe, der keine Kinder hatte, nicht einmal ein einziges. Das wäre nie für ihn in Frage gekommen. Was für die anderen selbstverständlich war, fand er gewöhnlich und abstoßend, dieses beständige Kindermachen und alles, was dazugehörte. Wie konnte man nur. Wie konnten die nur. Zum Glück habe ich nichts mit diesen Leuten zu tun, sagte sich Blumfeld. Sie kennen mich ja auch nicht oder wollen zumindest nichts von mir wissen. Ich bekomme keine Geburts- oder Traueranzeigen, keine Karte zu Weihnachten, nichts. Was ich über die diversen Geburten und Todesfälle erfahre, erzählen mir fremde Leute. Das ist meist mehr, als ich wissen will. Wir haben nichts mit einander zu tun, meine sogenannten Verwandten und ich. Ich habe von diesen Leuten auch nichts zu erwarten. Von wegen Erbtante oder Erbonkel, keine Chance, nie, wer überhaupt etwas besaß, vererbte es seinen Kindern und Kindeskindern. Wie auch immer, dachte Blumfeld, ich brauch nichts von denen, ich habe nie etwas von ihnen gebraucht, ich bin auch so zurecht gekommen. Und die sollen auch bloß nicht glauben, bei mir gäbe es was zu erben. Lieber hinterlasse ich alles, was ich habe, dem Tierschutzverein, als das da irgendeiner von denen auch nur einen roten Heller bekäme. Kurzum, so Blumfeld. ich interessiere mich nicht für meine Verwandtschaft und sie interessiert sich ganz offensichtlich nicht für mich. Vielleicht reden sie ja hinter meinem Rücken über mich. Bestimmt nichts Gutes. Aber das kann mir egal sein. Es ist mir egal. Für mich sind das völlig Fremde, sagte sich Blumfeld.

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