Donnerstag, 7. August 2025

Blumfeld (7)

Blumfeld, ein älterer Junggeselle, hatte es endgültg satt, dass ihm nie jemand zuhörte. Sogar die Kellner im Kaffeehaus hörten ihm nicht zu und brachten ihm nur zufällig das, was er bestellt hatte. Es war zwar ohnehin das Richtige, nämlich das, was er immer zu bestellen pflegte, aber darauf kam es nicht an. Tatsache war, dass sie ihm nicht zugehört hatten. Das ärgerte Blumfeld. Die ganze Welt ärgerte ihn. Das wollte er sich nicht länger gefallen lassen. Von nun an stellte er sich stumm und schrieb, wie Beethoven, das, was zu sagen war, auf kleine Zettel. Die mussten die andern dann lesen. Blumfeld überlegte zwar, dass vielleicht nicht Beethoven den andern, sondern viemehr die andern Beethoven etwas aufgeschrieben hatten, der ja nicht stumm, sondern taub gewesen war. Aber darauf kam es nicht an. Beethoven her oder hin, Blumfeld hatte manches zu sagen und schrieb es auf. Er schrieb und schrieb und schrieb. Im Laufe der Wochen, Monate und Jahre wuchs die Zahl der Zettel gehörig an. Blumfeld schuf auf diese Weise ein umfangreiches schriftliches Werk. Zwar wiederholten sich die Texte der Zettel  Bitte noch einen Verlängerten oder Guten Tag, Frau Nechvatal oder Den Akt bringen Sie bitte in die Registratur, Herr Kollege oder Halten Sie den Mund, Sie Canaille, jetzt rede ich ―, aber Blumfeld schrieb alles immer wieder neu, zumal es ihm schwer gefallen wäre, alle seine Zettel oder auch nur die wegen ihrer Alltäglichkeit für eine Wiedervorlage in Frage kommenden so übersichtlich geordnet mit sich zu führen, dass er bei eintretender Gelegenheit rasch den richtigen hätte zücken können. Dafür waren es dann doch viel zu zu viele. Und außerdem beachtete Blumfeld die Zettel, wenn er sie beschrieben hatte, nicht weiter. Als eingefleischter Bürokrat mit großer Ehrfurcht vor allem Geschriebenen warf er sie zwar nicht weg, sondern verstaute am Ende des Tages die jeweils angefallene Menge von Zetteln zu Hause in einem alten Aktenschrank. Aber er sah sich sein Werk nie wieder an. Das wäre auch zu schmerzlich gewesen. Denn schon bald, nachdem Blumfeld damals begonnen hatte, das, was er zu sagen hatte, aufszuschreiben, hatte er feststellen müssen, dass die Leute nicht nur nicht zuhörten, sondern auch nicht lasen. Ob sie nicht konnten oder nicht wollten, darauf kam es nicht an. Sie taten es nicht. Sie unterstellten immer bloß, was Blumfeld ihrer Meinung nach geschrieben hatte. Was er sozusagen geschrieben haben sollte. Auch das ärgerte Blumfeld selbstverständlich. Aber was hätte er schon dagegen ausrichten können? Wie seinen Ärger mitteilen? Reden? Schreiben? Vortanzen? Also fuhr er, nachdem er nun einmal damit angefangen hatte, damit fort, alles aufzuschreiben, was er zu sagen hatte. Er schrieb und schrieb und schrieb. Auf diese Weise hinterließ er, als er starb, ein umfangreiches Werk. Seine Zugehfrau, Frau Nechvatal, die den Zugriff der Erben nicht untätig abwarten wollte und noch vor dem Begräbnis schon einmal die Wohnung nach Dingen von Wert durchsuchte, fand all die Zettel im alten Aktenschrank und verbrannte sie im Küchenofen. Sie nahm an, es könne sich nur um Schweinereien handeln, und wollte nicht, dass Blumfelds Ansehen beschädigt würde. Sie hatte ihren Herrn zwar nie leiden können, aber sie sagte sich, dass es auch auf sie zurückfallen müsste, wenn der Tote wegen irgendwelcher beschriebener Zettel eine schlechte Nachrede hätte. Und wie kam sie als anständige Frau eigentlich dazu, dass ihr die Leute hätten nachsagen dürfen, für einen abartigen Kritzler gearbeitet zu haben? Besser also, das widerliche Zeug wurde verbrannt. Wertsachen übrigens hatte sie in der Wohnung leider keine gefunden. Nicht einmal eine Briefmarkensammlung. Sehr, sehr schade. Geradezu eine Gemeinheit. Von nun an hasste sie Blumfeld von ganzem Herzen.

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